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Wednesday, June 23, 2010

Glaubensbekenntnis auf dem Rücken

JUNGE MUSLIME IN DEUTSCHLAND

Glaubensbekenntnis auf dem Rücken

Viele junge Muslime in Deutschland versuchen traditionelle religiöse Werte und westliche Freiheiten zu vereinbaren. Pop-Islam nennen Soziologen diese lose Bewegung.
Kapuzenjacke mit einer Absage an die Islamisten
Kapuzenjacke mit einer Absage an die Islamisten
Melih Kesmen trägt sein Glaubensbekenntnis auf dem Kopf, der Brust, oder auf dem Rücken. Auf T-Shirt und Baseballkappe steht etwa "I love my Prophet". Wahlweise bekennt er sich zu Mohammed auch mit seiner Tasche, die er sich lässig über die Schulter hängt. Kesmen zieht sich nicht nur selbst so an, er bedient einen Markt damit. Der Deutsch-Türke ist Gründer des Labels und Online-Shops Styleislam - dem "Fanshop für den Muslim 2.0".
Kürzlich beschwerten sich zwei streng gläubige Christinnen an der Tür seiner Wittener Medienagentur, er würde mit seiner Kunst den Messias Jesus herabsetzen. "Die sind wenigstens persönlich auf mich zugekommen, das finde ich gut", sagt Kesmen. Nach einem freundlichen und sachlichem Gespräch - man einigte sich darauf, jede Religion mit Respekt zu behandeln - sei die Angelegenheit auch beendet gewesen, Ganz friedlich.
Wenn es um seine Arbeit geht, ist der 34-Jährige auch andere Töne gewohnt. Das Motiv "Jesus was a Muslim" hat er aus dem Sortiment genommen, nachdem er Drohanrufe aus Bayern erhalten habe. "Es ist nicht unsere Absicht zu provozieren", sagt Kesmen. Er änderte den Slogan kurzerhand in "Jesus and Muhammad-Brothers in Faith" (Jesus und Mohammed - Brüder im Glauben).
Der Designer lebt mit seiner Frau Yeliz die muslimische Aufgeklärtheit: Beide sind sie Kinder türkischer Einwanderer, die keine Feindbilder zwischen der orientalischen und der westlichen Welt beschwören. "Ich sehe mich als islamischer Freidenker, der trotzdem nach konservativen Werten lebt", beschreibt Kesmen seinen Lebensstil. Was bei manchen für Irritationen sorgt, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er trägt lange Haare, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er geht gerne auf Jazzkonzerte, besucht aber auch regelmäßig die Moschee. Er betet fünf Mal am Tag und fastet. Er entwirft modische Kleidung, zu eng oder knapp darf sie aber nicht sein.
Melih Kesmen ist ein Beispiel dafür, wie Muslime in ganz Deutschland versuchen, traditionelle Werte und westliche Freiheiten zu vereinbaren.
Pop-Islam nennt die Islamwissenschaftlerin Julia Gerlach die muslimische Bewegung, deren Vertreter einerseits sehr religiös sind, andererseits aber Symbole aus der Popkultur verwenden. Diese bilden keine einheitliche Gruppierung, aber für Gerlach sind sie vor allem Verbündete gegen Fundamentalismus und Terror. Gerlach sagt: "Unter Muslimen in Deutschland hat sich besonders seit dem 11. September eine Jugendkultur entwickelt, in der es keinen Widerspruch darstellt, frommer Gläubiger und guter Bundesbürger zu sein. Sie engagieren sich, wollen die Gesellschaft mitgestalten." So nehme in den letzten Jahren auch die Zahl der muslimischen Blogger zu.
"Es ist einfach ein neuer Lifestyle, in dem es keinen Konflikt dazwischen gibt, Muslim zu sein und in der deutschen Gesellschaft aktiv zu sein", erklärt die Bloggerin Kübra Yücel ihre Motivation. Die 21-jährige Deutschtürkin, die in London Politikwissenschaften studiert, hat ihren BlogFremdwörterbuch begonnen, weil sie darin eine Möglichkeit sah, Vorurteile gegen Kopftuchträgerinnen wie sie abzubauen. "Außerdem wollte ich Einblicke in das Leben eines muslimischen Mädchens in Deutschland geben." Denn sie ist wegen der gefühlten Vorurteile gegen Kopftuchträgerinnen von Hamburg nach London gegangen.
Der Islamwissenschaftler Jochen Müller vom Internetportal ufuq.de sagt: "Es ist eine moderne, sehr bildungsorientierte, religiös-muslimische Strömung, die sich ausdrücklich als deutsch definiert." Die Seite Styleislamsei repräsentativ für diese Szene, ebenso das soziale Netzwerkmyumma.de, Foren wie muslimaktiv.de und teilweise auch waymo.de von Aiman Mazyek, Generalsekretär vom Zentralrat der Muslime.
Die Idee zu seinem Modelabel kam Kesmen 2005, als er in London arbeitete. Er kehrte gerade mit seiner Frau von der Pilgerfahrt zurück. "Das war das Abgefahrenste, was ich bisher erlebt habe", beschreibt er die Reise nach Mekka. Am meisten habe ihn beeindruckt, dass dort alle Menschen gleich seien.
2005 war aber auch die Zeit der Unruhen in den islamischen Gemeinden. Damals veröffentlichte die dänische Zeitung Jyllands Posten zwölf Mohammed-Karikaturen, und auch Kesmen war genervt von Zeichnungen, von denen eine den Propheten mit einer Bombe in seinem Turban zeigte. "Ich habe nicht verstanden, wie man unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine Religionsgemeinschaft mit 1,5 Milliarden Muslimen beleidigen konnte."
Er fühlte sich aber ebenso provoziert von den Muslimen, die überall in der Welt Flaggen und Botschaften anzündeten, sagt er. Kesmen wollte auf die Karikaturen reagieren. Auf ein T-Shirt ließ er sich deshalb in großen Buchstaben "I love my Prophet" drucken, und als ihn Unbekannte in der Londoner U-Bahn darauf ansprachen, sei er für einen Moment wie verzaubert gewesen. "So etwas Simples konnte plötzlich friedliche Dialoge zwischen Fremden auslösen."

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