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Saturday, March 19, 2011

Der Koran kommt nicht ins Regal


Der Koran kommt nicht ins Regal

Europaweit wird der Markt für islam-konforme Lebensmittel auf 67 Milliarden Euro geschätzt. Doch deutsche Handelsketten überlassen das Geschäft noch immer kleinen türkischen Läden
Der Netto-Markt im Berliner Stadtteil Wedding ist eine Enttäuschung. Schon seit Mitte 2009 will der Discounter in Märkten, in deren Umfeld viele muslimische Kunden leben, spezielle Wurstwaren für diese Klientel eingeführt haben. Doch gerade in Wedding, wo zahlreiche Türken leben, sucht man vergeblich nach der Ware mit Halal-Siegel. "Halal" - das heißt, das Produkt wurde nach den Regeln des Koran hergestellt. Viele Muslime leben danach und verzichten auf Schwein und Alkohol. Auch wenn andere Lebensmittel nur Spuren davon enthalten, sind sie tabu.
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Doch nicht nur Netto hält sich beim Thema "Halal" zurück. Auch andere Handelsketten wie Rewe und Edeka scheuen sich, islam-konforme Produkte in größerem Stil ins Sortiment aufzunehmen. Damit lassen sich die Händler jedes Jahr vier bis fünf Milliarden Euro entgehen. So viel könnte in Deutschland mit "Halal" verdient werden, sagen Experten. Doch obwohl die Zielgruppe augenscheinlich da ist, will Discounter Netto an seinem spärlichen Halal-Angebot erst einmal nichts ändern: "Aktuell ist kein Ausbau geplant", heißt es.
Ganz anders wird das Thema in Ländern wie Frankreich, England, Belgien oder den Niederlanden aufgenommen. Schon heute gelten die Franzosen in Europa als Vorreiter auf dem Halal-Markt. Das Angebot in Supermärkten wie Carrefour und Casino ist größer als in jedem anderen EU-Land - beide Ketten führen sogar spezielle Marken nur für Halal-Waren. In Holland und Belgien hat so gut wie jeder Laden eine Halal-Ecke. Auch England ist vorne mit dabei: Kürzlich wurde eine muslimische Engländerin bekannt, die spezielles Make-up nach Halal-Richtlinien anbietet.
Dass Deutschland dieser Entwicklung hinterher hinkt, scheint wenig verständlich: Der Einzelhandel kämpft mit der immer stärker werdenden Konkurrenz. Da wäre Halal eine Möglichkeit, sich von anderen Handelsketten abzugrenzen. Zudem verspricht der Markt rund um islam-konforme Produkte für Händler und Hersteller eine beachtliche Summe Geld. Laut Experten soll keine andere Käuferschicht in Zukunft so stark wachsen wie die der Muslime. Mehr als 1,6 Milliarden Islam-Gläubige gibt es heute bereits weltweit, allein in Europa sind es rund 51 Millionen. Damit wird das Marktvolumen für islam-konforme Produkte in Europa auf 67 Milliarden Euro geschätzt. Bestätigt wird diese Prognose von den französischen Handels-Ergebnissen vom Vorjahr: 5,5 Milliarden Euro soll die Branche mit Halal verdient haben - das übertrifft sogar den Umsatz mit Bio-Waren.
"Gerade Muslime, die außerhalb ihrer Heimatländer leben, nehmen die Regeln des Koran immer ernster", sagt Anya Schlie vom Verein DTFood, einer Kontakt- und Kommunikationsplattform der deutsch-türkischen Lebensmittelbranche. Vor allem die jüngere Generation achte zunehmend darauf, dass die Lebensmittel den strengen Regeln des Koran entsprechen. Daher täten Handel und Hersteller auch in Deutschland gut daran, diese Zielgruppe stärker in den Blick zu nehmen. Der deutsche Einzelhandel selbst lässt sich davon noch nicht überzeugen. "Die Branche beobachtet den Halal-Markt", sagt Kai Falk, Sprecher beim Handelsverband Deutschland (HDE). Das Angebot würde sich langsam entwickeln. "Halal ist in Deutschland aber noch ein Nischen-Geschäft."
Ein Grund dafür: Im Vergleich zu Deutschland machen die Muslime in Frankreich einen viel größeren Anteil an der Bevölkerung aus. Fast jeder zehnte Franzose lebt nach dem Islam, fast doppelt so viele wie in der Bundesrepublik. "Damit haben sie im Nachbarland automatisch eine viel stärkere Berechtigung, spezielle Angebote nach ihren Interessen zu bekommen", sagt Tanju Aygün, Handelsexperte beim Informations- und Medienunternehmen Nielsen.
Zudem haben Frankreich und England noch aus Kolonialzeiten mehr Erfahrung mit ihren muslimischen Migranten. "Das spiegelt sich im Lebensmittelgeschäft wider", sagt Badreddin Hawari vom Islamischen Institut Aachen. Die Deutschen seien von Natur aus sehr vorsichtig, wenn es um Ethno-Marketing ginge. "Sie beobachten lieber erst, wie sich der Bereich in anderen Ländern entwickelt, und werden erst danach selbst aktiv", sagt Hawari. Anders in England: Dort leben mit drei Prozent zwar weniger Muslime als in Deutschland, doch "die englischen Händler waren einfach schneller bereit, innovative Produkte in ihr Sortiment aufzunehmen", bestätigt Tanju Aygün.
In Deutschland haben sich die Muslime selbst einen Ausweg gesucht: Sie schwören auf den kleinen türkischen Laden um die Ecke, wo es Halal-Produkte schon längst gibt. Rund 10 000 dieser Läden bieten sie an. Damit hat der deutsche Einzelhandel den türkischen Händlern das Feld überlassen.
"Die Zurückhaltung ist berechtigt", sagt Engin Ergün, Geschäftsführer von ethnoIQ aus Düsseldorf. Die Beratungsfirma begleitet deutsche Unternehmen, die mit ihren Produkten in den Halal-Markt einsteigen wollen: "Ich sehe Halal-Produkte in deutschen Lebensmittelmärkten als problematisch an", sagt Ergün, "weil der islamische Kunde schon heute alle Produkte in seinen Läden kaufen kann." Die deutschen Einzelhändler selbst sehen darin erst mal kein Problem: Man stehe mit dem Angebot nicht in direkter Konkurrenz zu den türkischen Läden, sondern schaffe eine Ergänzung. Und ein Minus-Geschäft sei das keineswegs: Gerade bei Discountern stehe aus wirtschaftlicher Sicht immer nur das im Regal, was auch Umsatz bringe.
Berater Ergün weist aber noch auf ein anderes Problem hin: "Es gibt ein großes Vertrauensproblem von Seiten der muslimischen Kunden." Eigenen Händlern im türkischen Markt würden sie blind glauben, dass alle Waren "Halal" sind. "Bei deutschen Märkten und Herstellern schauen sie dafür umso genauer hin." Um Vertrauen zu gewinnen, versuchen viele Unternehmen gerade in Deutschland ihre Produkte Halal-zertifizieren zu lassen. Doch dabei stehen sie vor einer echten Hürde: Es gibt gleich zehn verschiedene Siegel - so viele Zertifizierungsstellen hat Deutschland.
In der Vergangenheit führte das nicht selten dazu, dass sich die Stellen teilweise gegenseitig misstrauten und das Siegel des Konkurrenten erst nach längerer Diskussion anerkannten. "Mit einem einheitlichen Siegel wäre wirklich viel gewonnen", sagt Handelsexperte Tanju Aygün von Nielsen.
Ein Paradebeispiel ist Österreich, das nur eine Zulassungsstelle und ein - dazu noch staatliches - Halal-Siegel duldete. In Frankreich und England stört sich derweil niemand groß an der fehlenden Einheitlichkeit. Dort werben jetzt sogar schon einzelne Fast-Food-Ketten offensiv mit Restaurants, in denen es ausschließlich Halal-Fleisch zwischen den Hamburger-Brötchen und in der Chicken-Box gibt. In Frankreich ist die Hamburger-Kette "Quick" vorgeprescht und serviert in 22 ihrer insgesamt 358 Imbiss-Häuser die Burger nur noch ohne Schweineschinken und Speck. Hier blieb die Aktion aber nicht ohne Protest: Viele Franzosen und einzelne extreme Parteien stiegen auf die Barrikaden. Sie werfen der Kette vor, die Bevölkerung zu spalten und die Muslime als Sondergruppe heraus zu stellen. In England reagierte Kentucky Fried Chicken (KFC) auf die spezielle Nachfrage seiner muslimischen Kundschaft und stellte gleich mehr als 60 Häuser um.
Auch in Deutschland gibt es bereits eine Reihe von KFC-Restaurants, die nur noch Halal-Fleisch verkaufen - so zum Beispiel in Berlin, Köln und München. Geworben wird damit aber nicht. Im Gegenteil: Viele Hersteller haben Angst, mit dem Thema "Halal" ihre nicht-islamische Kundschaft zu verschrecken, sagt Badreddin Hawari.
Bei Dr. Oetker sind bereits eine Reihe von Ristorante-Pizzen "Halal", darunter Tonno, Funghi und Vegetale - die auch in den Tiefkühltruhen deutscher Supermärkte liegen. Das Siegel tragen allerdings nur die Pizzen, die nach Singapur, Malaysia oder Australien exportiert werden. "In Deutschland warten wir noch, bis wir eine Marktforschung zum Thema 'Halal' gemacht haben", sagt Christina Krumpoch von Dr. Oetker. Erst danach entscheide sich, wie man die Produkte richtig einführe.
Auch das Unternehmen Mars druckt auf seine deutschen Produkte wie Balisto oder Twix kein entsprechendes Siegel, obwohl sie Halal-zertifiziert sind. "Bei uns ist die Resonanz dazu so gering, dass wir bislang darauf verzichtet haben", sagt Nico Schiller, Sprecher von Mars Chocolate Deutschland.
Dass deutsche Hersteller und Händler sich beim Thema "Halal" ruhig mehr zutrauen können, zeigt das Beispiel eines Edeka-Centers aus Bremen-Walle. Der Markt gilt als Vorzeigebeispiel unter den Edeka-Filialen, wenn es um islam-konformes Marketing geht: Die Halal-Waren, Frischfleisch sowie Trockenprodukte wie Nudeln stehen in einem Extra-Regalblock zusammen. Werbeschilder weisen gezielt darauf hin. "Wir haben einen sehr großen Zuspruch von den muslimischen Kunden", sagt Andreas Laubig, Edeka-Sprecher für die Region Minden-Hannover. Und beschwert habe sich von den anderen Kunden auch noch niemand.

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