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Tuesday, June 22, 2010

Das Halal-Experiment

Islam

Das Halal-Experiment

Kein Schwein, nicht ein Hauch von Alkohol: Der Handel mit Halal-Produkten boomt, islamisch korrekte Lebensmittel liegen voll im Trend. Aber das Thema ist sensibel. Julia Schaaf über den Stand der Integration im Supermarkt.

Der Handel mit Halal-Produkten boomt
Der Handel mit Halal-Produkten boomt
21. Juni 2010 
Das Scheitern schien zunächst nur eine Frage des Ketchups. Ein Jahr lang hatte Ernst-Hermann Exter an einer Bio-Currywurst in Halal-Qualität gearbeitet. Die Idee stammte von seiner Tochter, die in London studiert, wo Lebensmittel für Muslime längst zum Alltag gehören: kein Schweinefleisch, kein Alkohol, und das in Supermarktketten wie Tesco gleich regalmeterlang. Der Fast-Food-Gourmet aus Berlin machte sich ans Werk. Exter tat in Mecklenburg einen Geflügelbetrieb auf, der Öko-Hähnchen nach islamischen Kriterien schlachtet. In Österreich fand er einen Gewürzhersteller, der über Bio- und Halal-Zertifikate verfügt. Nach Dutzenden Versuchen dann gelang es dem Zweiundsechzigjährigen, aus dem empfindlichen weißen Fleisch ganz ohne Stabilisatoren dünne Würstchen zu formen.
Hinter der Theke von „Witty's White Concept“ am Gendarmenmarkt steht der Bio-Champagner, der Weg zwischen Bistro-Tischen hindurch führt über roten Teppich. In der Pappschale liegen currygelbe Wurststückchen. Das Fleisch ist zart und fest, würzig und mild zugleich, die Haut feiner als Zellophan. Nirgendwo trieft Fett, sanft kitzelt Schärfe den Gaumen. So gut schmeckt Currywurst selten. Trotzdem sagt Ernst-Hermann Exter, während er seine Holzgabel in den nächsten Bissen piekt: „Ich bin unzufrieden.“ Der Ketchup ist falsch. Nirgendwo hat er Öko-Tomatenmark gefunden, das muslimischen Ansprüchen genügt.

Das Halal-Geschäft boomt

Exter sagt auch: „Ich denke, es ist zehn Jahre zu früh.“ Hätte es doch nur am Ketchup gelegen! Aber schon kurz nach der Eröffnung seiner Edel-Bude im Frühjahr verlangten die Kunden Buletten. Und Currywurst, ganz normal. Bald war es mit dem Weißfleisch-Konzept vorbei. Von den Aufstellern verschwand das Wort „halal“. Denn Geflügelwürstchen, die neben Schwein gebraten werden, sind für Muslime tabu.
Exters Experiment mit der Currywurst verrät mehr über Halal-Food in Deutschland als die zahlreichen Berichte über den großen Boom. Natürlich gibt es Zahlen, die einen eindeutigen Trend belegen: Im Welthandel hat sich der Umsatz von 150 Milliarden Dollar im Jahr 2002 auf 630 Milliarden Dollar 2009 mehr als vervierfacht. Der Nestlé-Konzern, der schon in den Achtzigern in das Halal-Geschäft einstieg, hat inzwischen 85 seiner insgesamt 456 Fabriken von islamischen Fachleuten zertifizieren lassen. Aber auch ein Mittelständler wie der Wurstwarenhersteller Meemken aus Niedersachsen legt eindrucksvolle Bilanzen vor: Zehn, maximal zwanzig Tonnen Sucuk, Truthahnsalami und Co., das war die wöchentliche Produktion in der Anfangszeit vor zehn Jahren. 2007 lag man schon bei 45 Tonnen. Und seit in einem neuen Werk nicht mehr tageweise, sondern ausschließlich halal produziert wird, ist man bei bis zu 120 Tonnen angelangt.

Vor Jahren war Halal nicht wirklich rein

Weil in diesem Zusammenhang gerne vom steigenden Anteil der Muslime an der Weltbevölkerung die Rede ist, bejubelt die Lebensmittelwirtschaft einen Wachstumsmarkt, von dem es zu profitieren gilt. Auf der Nahrungsmittelmesse Anuga in Köln gibt es inzwischen Informationsveranstaltungen zum Thema Halal.
Halal (arabisch) oder helal (türkisch) bedeutet statthaft, erlaubt im Sinne des Islam. Aus dem Koran geht hervor, dass Muslime vor allem Schweinefleisch und Alkohol zu meiden haben. Weil das aber auch Lebensmittel einschließt, die Schweinederivate oder Spuren von Alkohol enthalten, ist die Sache kompliziert. Der strengste deutsche Halal-Zertifizierer, die Firma Halal Control in Rüsselsheim, hat vor einigen Jahren Wurstwaren mit Halal-Siegel einer DNA-Analyse unterzogen und siehe da: Die meisten Hersteller boten Produkte an, die mit Schweine-Genen kontaminiert waren.

Gummibärchen, Joghurtdesserts und Brotaufstriche

Gummibärchen, Joghurtdesserts und Brotaufstriche enthalten Gelatine, und die wird aus Kostengründen meist aus Schweineknochen hergestellt. Selbst Fruchtsäfte werden mit Hilfe von Gelatine gefiltert. Außerdem sagt Mahmoud Tatari, Geschäftsführer von Halal Control: „Rituelle Reinheit spielt eine maßgebliche Rolle.“ Seiner Auffassung nach sind auch Süßigkeiten nur halal, wenn die Produktionslinien nicht mit Alkohol gesäubert werden - obwohl Ethanol nach einer halben Stunde verfliegt.
Jede Halal-Zertifizierung basiert auf Laboranalysen und technischen Details, letztlich handelt es sich jedoch um ein religiöses Urteil, in das mitunter islamische Gelehrte einbezogen werden. Folglich verhält es sich mit der Auslegung der Speisevorschriften wie mit dem Islam selbst: Es gibt unterschiedliche, mehr oder weniger strikte Varianten, und gerade für den Export spielt es eine Schlüsselrolle, welches Zertifikat man vorweisen kann. Halal Control, deren Siegel von den Gralshütern islamischer Speisereinheit in Malaysia und Indonesien anerkannt wird, zertifiziert beispielsweise kein Fleisch aus industrieller Schlachtung. „Was sollen die Leute denn dann essen?“, fragt hingegen Badreddin Hawari vom Islamischen Zentrum Aachen, wo man fast dreißig Jahre Erfahrung mit dem Thema hat.

Halal-Zertifizierung als zusätzliche Qualitätskontrolle

Auch Hawari kann erklären, dass das Schlachten von Tieren im Islam eine Form der Gottesanbetung ist, die mit Respekt vor der Schöpfung und einem Gebet einhergeht. Aber die gängige Form der Geflügelschlachtung in Deutschland beispielsweise, bei der die Tiere qua Elektroschock betäubt werden, bevor man ihnen die Halsschlagadern durchtrennt, bezeichnet er als islamkonform: Hauptsache, ein Moslem stelle das Gerät an.
„Eine Halal-Zertifizierung ist eine zusätzliche Qualitätskontrolle“, sagt Hawari gern. Dann erzählt er von Brasilien, wo es kaum Muslime gebe, Halal-Siegel aber trotzdem als Beleg erhöhter Produktsicherheit geschätzt würden. Schließlich verbiete der Islam auch gesundheitsschädliche Zusatzstoffe. Der Fünfunddreißigjährige klingt wie ein weltlicher Prediger einer entspannten Einwanderungsgesellschaft. Er hat schon als Schüler sein Snickers umgedreht, um die Zutatenliste zu studieren. Akzentfrei redet der Deutsche mit syrischen Wurzeln über die veränderten Ernährungsgewohnheiten seiner Glaubensgenossen: Kochten frühere Einwanderergenerationen überwiegend frisch, wachse heute das Bedürfnis nach den gängigen Convenience-Produkten der Mehrheitsgesellschaft - aber bitte halal. Denn für die allermeisten Muslime bleibe es selbstverständlich, religiöse Ernährungsregeln zu befolgen.

Seit Mai gar Halal-Maggi-Suppen

Im deutschen Supermarkt ist das nicht leicht. Suppenhühner von Wiesenhof haben manchmal einen kleinen grünen Stempel auf der Plastikrückseite: halal. Aber schon auf der Tiefkühlpizza der Marke Alberto findet sich kein Hinweis auf die erfolgte Zertifizierung. Dr. Oetker und Müller, Pfanni, Storck und Meggle produzieren zwar durchaus in Halal-Qualität. Aber wie bei den islamisch korrekten Versionen von KitKat und Smarties ist diese Ware für den Export bestimmt. „Man hat immer so ein bisschen die Angst, dass der Schuss nach hinten losgeht“, sagt Hawari. Das ist vorsichtig formuliert. Tatsächlich gibt es Internetforen, die offen zum Protest gegen Händler und Hersteller von Halal-Food aufrufen - Name, Anschrift und Telefonnummer inklusive. Ausländerfeindlichkeit wird dabei zumeist als Tierschutz verbrämt. Und Aldi-Süd zum Beispiel hat nach Informationen von Hawari den zertifizierten Aufschnitt wieder aus dem Sortiment genommen, nachdem die Kunden-Hotline mit Beschwerden überschwemmt worden sei.
Der andere Grund für die zögerliche Vermarktung in Deutschland betrifft die Skepsis der Muslime. In türkischen Supermärkten nämlich braucht es keine Halal-Siegel. Dem Gros der Verbraucher reichen offenbar Gewohnheit und Vertrauen. Haribo beliefert solche Ethnomärkte inzwischen mit Goldbären, die in der Türkei hergestellt wurden und ausschließlich Rindergelatine enthalten. Die Einführung wurde von einer großen Werbekampagne der Firma Ethno IQ in türkischsprachigen Medien begleitet. Geschäftsführer Engin Ergün schwärmt von den Chancen dieses Ethnomarketings: „Ganz spitz“ könnten Konsumentenkreise erreicht werden, „ohne dass man damit seine Kernzielgruppe behelligt“. Neuerdings wagt sich auch Halal-Riese Nestlé erstmals an ein Experiment in Deutschland: Seit Mai werden Halal-Maggi-Suppen aus der Türkei in türkischen Märkten vertrieben - mit Hilfe von Ethno IQ.
Integration geht offenbar nicht zwangsläufig durch den Magen. Zwar interessieren sich allmählich auch große Handelsketten für das Thema Halal. Edeka zum Beispiel trifft seine Entscheidungen standortabhängig. In einem ausländerreichen Bremer Stadtviertel hat der Geschäftsführer ein Halal-Regal mit der Überschrift „Orientalische Spezialitäten“ aufgestellt; die Umsätze steigen. Aber nicht einmal auf der Homepage des Wurstherstellers Meemken findet sich ein Fingerzeig auf die erfolgreiche Halal-Palette - dafür gibt es einen eigenen Internetauftritt. „Wir trennen das komplett“, sagt Verkaufsleiter Osman Mahmoud. „Die Mischung zwischen Schwein und halal sehen unsere Kunden nicht gut an.“ Diese Lektion hat auch Ernst-Hermann Exter gelernt. Er will sich jetzt einen muslimischen Partner suchen und seine zertifizierten Geflügelwürstchen als eigenständige Marke vertreiben. Halal für alle: So weit ist es in Deutschland noch lange nicht.
Text: F.A.S.
Bildmaterial: AFP, AP, dpa, REUTERS

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